Schildermaler

Im Gegensatz zu den deutschen Soldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft wurden die in Ostfriesland unter britischer Aufsicht Internierten ziemlich früh entlassen. Mein Vater kam bereits im Januar 1946 frei. Wahrscheinlich hatte er behauptet, er sei Landarbeiter, brauchte man die doch in den Besatzungszonen dringend. Er erzählte einmal, dass seine Rückkehr nach Berlin noch eine schlimme Wendung hätte nehmen können, denn als er im Sowjetsektor ankam, sammelten bereitstehende Sowjetsoldaten die Heimkehrer wieder ein und steckten sie in einen anderen Zug. Der fuhr dann aus der Stadt heraus, aber ostwärts. Ob dieser Zug Arbeitskräfte in die Kohlengruben Sibiriens oder nur zu einem Arbeitseinsatz nach Zossen bringen sollte, hat er nie erfahren. Bei einem Halt auf freier Strecke vor Königs Wusterhausen verließ er fluchtartig die sowjetische Obhut.

In Weißensee angekommen, fand er Frau und Tochter am Leben und die kleine Wohnung kalt, aber unzerstört vor.

Seinem Moskauer Freund, dem Zeichner und Illustrator Orest Werejsky, schilderte er das folgende Ereignis: „Am Tage nach meiner Rückkehr tauchte ein sowjetischer Soldat auf und befahl mir, unverzüglich auf der Kommandantur zu erscheinen. Ich umarmte Gertrud und nahm Abschied“, erzählte Werner. „Wie mein Dienst in der faschistischen Armee auch gewesen sein mag, er konnte offensichtlich nicht straffrei bleiben. Ich folgte dem Soldaten, auf alle Schicksalsschläge vorbereitet. Losungen kannst du schreiben? fragte der Kommandant, als ich vor ihm stand. Man braucht wohl nicht zu erzählen, mit welcher Erleichterung und mit welchem Eifer ich zur Tat schritt. Nun ja, die Losungen wurden russisch geschrieben, der Kommandant selbst hat die Texte hastig und nicht sehr leserlich auf einem Fetzen Zeitung entworfen. Am Abend kam er, um sich die Ergebnisse meiner Mühen anzusehen. Ohne in sein Gesicht zu blicken, habe ich begriffen, wie katastrophal es um die Sache stand, und mich auf jede beliebige Strafe vorbereitet. Meter von rotem Kattun waren hoffnungslos vergeudet, waren mit Buchstaben eines bis dahin unbekannten Alphabets vollgeschrieben worden, die niemand – ich am allerwenigsten – entziffern konnte.“

Kietz und Weltl Eulenspiegelverlag 1987

Nachdem also diese erste von Klemke gemalte Nachkriegs-Werbegrafik ein Fehlschlag war, wurden die nächsten besser. Unsere Mutter hatte inzwischen eine Firma mit dem Namen „Zeichenstube“ gegründet und unseren Vater dort mit angestellt.  Beide beschrieben und bemalten Ladenschilder, Transparente, zeichneten auch noch Trickfilmzellus, vor allem aber bemalten sie Lampenschirme.

Wie man im Rechnungsbuch von Gertrud Klemke lesen kann, lief der Laden. 600,- Reichsmark von Elektro-Mohr für 24 gelieferte Lampenschirme. Aber was galt denn die Reichsmark, die noch im Sowjetsektor im Umlauf war? Viel war sie nicht wert. Wertvoller waren die Lebensmittelkarten.

Noch waren unsere beiden Eltern nicht aus der Armut heraus.

Zu Klemkes 70.Geburtstag suchte die Akademie der Künste für eine große Personalausstellung per Annonce in Berliner Zeitungen nach Klemke-Lampenschirmen aus vergangenen Tagen. Niemand meldete sich, es tauchten keine Lampenschirme auf.

Dabei verstaubte auf unserem Dachboden eine Tischlampe älteren Datums. Aber wer weiß denn schon, was sich alles auf dem eigenen Dachboden ansammelt. Jedenfalls, der Lampenschirm ist handbemalt. Klemke sprach mal von „röhrenden Hirschen“, mit denen er damals die Schirme verzierte, hier aber sind Streublümchen zu sehen. Vielleicht ist es eine Klemke-Lampe, vielleicht auch nicht. Meine Schwestern sagen: ja, das ist eine Klemke-Lampe!