Gertrud

Es muss im Jahr 1937 gewesen sein, als das 23jährige Fräulein Gertrud Stremlau, Tochter eines Reichsbahners und Absolventin einer Berliner Kunstschule den Tischlersohn und Abiturienten Werner Klemke in einem Tanzcafé auf der Berliner Allee kennenlernte. Als sie nun ihren Eltern von ihrem neuen Verehrer berichtete, war der Kommentar ihrer Mutter (unserer späteren Großmutter): „So’n Hungerkünstler! Und dann noch der dämliche Name: Klemke!“

So erzählte es unsere Mutter: Als sich das frischverliebte Paar gegenseitig ihre Gedanken über eine gemeinsame Zukunft vorstellten, malte sich unser zukünftiger Vater ein Leben als Maler und Bohemien aus, mit seiner Muse, unserer zukünftigen Mutter, in einer Dachkammer lebend – so ganz Carl-Spitzweg-mäßig.

Darauf meine Mutter: „Wenn Du mit mir zusammen eine Familie haben willst, dann vergiss das mal ganz schnell! Ich will raus aus der Armut!“

Das Vorhaben zu realisieren, dauerte zwar, aber es klappte letztendlich – im Team! Und auch nicht in einem Angestelltenverhältnis, sondern als Freischaffende. Ein Risiko mit Selbstausbeutung, denn sowas wie Work-Life-Balance blieb beiden zeitlebens unbekannt.

Nach seinem Abitur brachte meine Mutter ihren Werner bei einer Trickfilmfirma unter. Er begann dort als Zeichner für Zwischenphasen. Das war Fließbandarbeit. Mein Vater zum Schriftsteller Horst Drescher: „Ich habe beim Trickfilm gelernt“. Beim Trickfilm habe ich gelernt, viel, schnell und einfallsreich zu arbeiten. Eine gute und harte Schule.“

Viel, schnell und einfallsreich! Dabei blieb er.

Viel viel später, aus Fräulein Stremlau war bereits Frau Klemke und unsere Mutter geworden, da hielt sie den Laden am Laufen. Und der war nicht klein und es war nicht leicht: Ein Ehemann, der nicht nur seine Werkstatt in der Wohnung hatte, sondern dadurch auch ziemlich viel Publikumsverkehr verursachte, vier Kinder mit einem Altersunterschied von etwa 2 Jahren und ein mittelgroßer schwarzer Hund (die Vögel, Hamster, Mäuse, Katzen nicht mitgezählt).

Der Hund hieß Grugel und ich erinnere mich nicht, wie und wann er in die Familie kam. Er soll eine Mischung aus Chow Chow und Schäferhund gewesen sein, hatte eine blaue Zunge und war uns ein echter Freund. Mit Vergnügen stand er im Weg oder legte sich in die Türöffnungen. Sein schwarzes Lockenfell half dabei, in der Dunkelheit über ihn zu stolpern. Meiner Meinung nach kam er auf Initiative meiner Mutter in die Familie. Ein Indiz: Grugel soll von der Hündin der Hutmacherei Korff, oben an der Lichtenberger Straße, abstammen. Da verkehrte unsere Mutter. Unser Vater kaufte seine Hüte bei Freimuth oder Neubauer in Berlin-W. Dort gab es keine Hunde, nur Hüte.

Wie es aussah, wenn unsere Mutter uns mal für ein paar Minuten aus dem Haus haben wollte, zeigt das Klemke-Schabblatt von 1957.

Von links nach rechts: Sabine Klemke, Christine Klemke (oben) Prof. Werner Klemke, Ulrike Klemke, Grugel, Christian Klemke

von links nach rechts: Sabine Klemke, Christine Klemke (oben), Prof. Werner Klemke, Ulrike Klemke, Grugel, Christian Klemke