An die Akademie der Künste musste man berufen, also gewählt werden. Das hieß, die Akademiemitglieder wählten aus in- und ausländischen Künstlern in einem bestimmten Turnus immer mal wieder neue Mitglieder. Die wurden zur Bestätigung der SED-Führung vorgestellt und, die wollte ja unbedingt Einfluss nehmen, so gab es jedesmal Ärger und Streit um diesen oder jenen. Ich denke, bei der Wahl von Werner Klemke gab es kein großes Gezänk, obwohl er keiner Partei angehörte. Zu jener Zeit ging der Kampf mehr um Peter Hacks und Franz Fühmann und um den Vorschlag der Partei, Otto Gotsche als Mitglied aufzunehmen, den aber die wenigsten Akademiemitglieder in ihren Reihen haben wollten. Also Anfang des Jahres 1961 wurde unser Vater in die Akademie der Künste berufen. Mitte des Jahres, wir waren im Urlaub auf Hiddensee, im August, musste er plötzlich zurück nach Berlin. Wir blieben. Ein dringendes Telegramm hatte ihn erreicht. Die Akademie wollte/sollte eine Plenartagung machen, so schnell wie möglich, gleich nach dem 13.August… unbedingte Teilnahme erforderlich! Das zu realisieren während der Urlaubszeit war wohl gar nicht so einfach, denn es dauerte zwei Wochen, bis man alle Mitglieder in Berlin zusammengetrommelt hatte. Auf der Plenartagung schrieb man dann eine Ergebenheitsadresse an die Parteiführung, für viele Künstler sicher in der Hoffnung, dass nun innerhalb der „geschlossenen“ Grenzen der DDR mehr künstlerische Freiheit erwarten sei.
Von wegen!

Bei uns liegt noch ein alter Katalog einer Kunstausstellung der Akademie der Künste mit dem Titel Junge Künstler. Es war ja eine Hauptaufgabe der Sektion Bildende Kunst, Ausstellungen zu machen. Einen Monat nach dem Mauerbau eröffnete also diese vom Akademiemitglied und Sekretär der Sektion Bildende Kunst, vom Bildhauer Fritz Cremer organisierte Akademieausstellung. Gezeigt wurde Malerei von kaum bekannten Künstlern im Alter so um die 30, die zukünftige Malergeneration. Mein Vater wie auch die anderen Akademiemitglieder der Sektion waren von Cremer vorab darüber informiert, was mit der Ausstellung beabsichtigt war: eine echte künstlerische Leistungsschau ohne Schönfärberei und Betrug.
Gegenüber dieser Ausstellung hatte sich der SED-Kulturideologe Alfred Kurella, Verfechter der reinen Lehre des Sozialistischen Realismus nach sowjetischem Vorbild, besonders hervorgetan. Von seinem und Walter Ulbrichts geforderten „Bitterfelder Weg“ war in der Junge-Kunst-Ausstellung so gut wie nichts zu sehen. Also hängte Kurella die Bilder jener Maler, die ihm nicht passten, die er nicht verstand oder die ihn ärgerten, am Tag nach der Eröffnung wieder ab. Zudem flatterten kurz danach die angeblichen „Leserbriefe aus der Arbeiterklasse“ in die Zeitungsredaktionen – immer mit dem Vorwurf: „wem soll das nutzen, für wen ist das gemalt? Man solle, so war in den Zeitungen zu lesen, etliche Bilder in die dunkelste Ecke hängen oder in die Ausschusskiste werfen. Gemeint waren Gemälde von Harald Metzkes, Hans Vent, Joachim John und einigen anderen.
Und unser Vater, das frischgebackene Akademiemitglied? Er blieb sich und seiner ihm eigenen ironischen Art treu. „Ich war kein Dissident“, sagte er später einmal. Vom Schriftsteller Horst Drescher 1989 auf eine kolportierte Klemke-Anekdote angesprochen, wonach er an die verfemten Bilder seine Visitenkarte gesteckt hätte mit der Aufschrift „Gekauft! Prof. Klemke“ sagte er: „Das mit der Akademie-Ausstellung, das ist keine Anekdote, so war es. Den Joachim John haben wir im vergangenen Jahr zum Mitglied gemacht in der Akademie. Er war Meisterschüler gewesen bei mir, ein hochbegabter Mann.“