Die DDR-Zeitschrift Das Magazin war erstaunlicherweise ein Produkt des Volksaufstandes vom 17.Juni 1953, weil sich die SED-Oberen wahrscheinlich gesagt haben: „Bevor uns das Volk in der DDR nochmal die Scheiben einschmeißt und uns an Leder will, sollten wir vielleicht etwas freundlicher tun.“ Und sie ließen sich eine Reihe von Zugeständnissen im DDR-Alltag abringen. Unter anderem diese monatliche Zeitschrift für Unterhaltung, Literatur, Karikatur, Mode, Film, Reisereportage und Kunst. Die Macher des Magazins damals, 1954, das ist interessant, die waren während der Nazizeit in der Emigration gewesen. Im Westen! In den USA, in England. Und sie waren zurückgekommen mit einem anderen Horizont, was Presse und Journalismus anbetraf.
Für das Titelblatt hatte sich die neue Redaktion ausgedacht, dass verschiedene Grafiker, mal der und mal jener, das Titelblatt zeichnen sollten. So lief das über‘s Jahr 1954. Auch mein Vater war unter den beauftragten Grafikern. Er arbeitete inzwischen aber mehr als Buchillustrator und als Hochschullehrer. Doch als man Ende 1954 ein weiters Titelblatt bei ihm anforderte, so erzählte er, machte er der Redaktion ein Angebot: „Ich zeichne Euch ein Jahr lang, das ganze Jahr 1955, alle 12 Titel und wenn ihr nicht zufrieden seid, dann trennen sich unsere Wege. Wenn doch, dann lasst mich weitermachen.“ Er dachte dabei an Presse-Beispiele aus den USA, aus England wie die Saturday Evening Post oder der Londoner Punch. Die hatten nämlich Grafiker, die über einen längeren Zeitraum jedes Titelbild lieferten und den Zeitschriften damit ein Gesicht gaben. Wiedererkennung als Kaufanreiz. Was mein Vater nicht ahnte, was auch in der Pressegeschichte bisher so nicht vorgekommen war, nicht in Deutschland und wohl auch nicht in der Welt, ist, dass ein Grafiker das über Jahrzehnte durchhält, Monat für Monat, von 1955 bis ins Jahr 1990. Das hatte er nicht vorausgesehen: musste er doch neben seinen Arbeiten als Illustrator für Bücher, als Zeichner für Plakate, Programmhefte, Briefmarken, usw. als Hochschulprofessor und auch als Akademiemitglied nun noch jeden Monat eine Idee fürs Magazintitelblatt liefern. Und die Ideenfindung dauert länger als das eigentliche Zeichnen.

Unser Vater hatte sogar schon ein Titelbild für das Jahr 2000 fertiggestellt, abgebildet im Magazin vom Januar 1962 mit einem Anschreiben: „Das Titelbild zeigt eine authentische Szene aus dem Jahre 2000. Der oben Dargestellte ist der durch eine Frischzellentherapie künstlich jung gehaltene Zeichner der beliebten Magazin-Titelblätter selbst. Darunter seine Großmutter, ebenfalls frischzellentherapiert. Der Kater ist sowieso ewig jung. – Das Titelbild veranschaulicht in schöner Weise den Fortschritt der ärztlichen Wissenschaft.
Zeichnung und Text: Werner Klemke
Pressearbeit ist Terminarbeit. Die Redaktion wartet und die Druckerei wartet. Manchmal war es unserem Vater direkt anzusehen: „Oh je, der Magazintitel ist fällig!“ Und ja, manchmal wurde der Magazintitel erst auf den letzten Drücker fertig. Dann wartete der Bote vom Magazin neben dem Schreibtisch meines Vaters, um dann mit der Zeichnung in die Redaktion zurück zu rasen. Das ist wahr. Dennoch, für ihn war es keine Quälerei. Unserer Schwester Ulrike hatte er einmal gesagt, dass er die Ideen findet, als würde er durch einen blühenden Garten gehen und Blumen pflücken, Ideenblumen. Er hatte eine reiche Phantasie, vermutlich hatte er sich die eines Kindes erhalten. Nur dass die Magazintitelideen nicht unbedingt kinder- oder jugendfrei waren. Es ging ja immer nur um ein Thema – die Liebe. Ein Thema in über 400 Variationen. Erotisch? – Ja! Frech-frivol? – Ja! Ironisch? – Ja! Plump? – Nein, nie!
Das Magazin und Klemke hatten sich gesucht und gefunden. Zu seinem 60. Geburtstag wollte die Redaktion meinem Vater einen Preis verleihen. Heißen sollte er „Der Goldene Einfallspinsel“. Mit Doppel-L, nicht mit T. So ein Preis war aber in die DDR-Ordensverordnung wohl nicht einzufügen.

Der Kater! Der Kater hätte auch eine Maus, ein Frosch oder ein Truthahn sein können. Ein Maskottchen, ein Werbetrick. Es gibt keinen persönlichen Bezug zu einem Kater, abgesehen von dem, den er als Kind hatte. Der hieß Miez, hatte aber Werner Klemkes künstlerisches Frühwerk vernichtet, so formulierte es unser Vater. Der 12jährige hatte damals für seine Zeichnungen ein Platz im Küchenschrank seiner Mutter. Und eines nachts wurde der Kater versehentlich dort eingeschlossen. Der nämliche Kater verrichtete sein dringendes Geschäft also auf den Klemke-Zeichnungen und zerkratzte sie anschließend der Ordnung halber, wie es Katzen nun mal tun. Weg war das Frühwerk! So einem Ignoranten setzt man natürlich später kein Denkmal.
Also nicht von Anfang an, aber doch ziemlich früh kam der Magazin-Kater mit aufs Bild. Er war auch nicht Hauptakteur sondern eher stiller Beobachter oder Kommentator der Szene.
Man kann Erfolg nicht erzwingen, aber der Kater hatte Erfolg. Der Kater und das Magazin machten Werner Klemke sogar prominent. Nicht nur der Kater, aber zum großen Teil.
In der bildenden Kunst ist es doch so: man kennt die Namen der großen Maler… sagen wir, Caravaggio oder Renoir oder Willi Sitte, aber das Werk, deren Bilder kennt oder sieht man selten. Die hängen in Museen oder Kirchen oder sind in Privatsammlungen verschlossen. Anders bei den Arbeiten von Gebrauchsgrafikern. Man trifft sie jeden Tag, überall, sieht sie auf Plakaten, auf Marmeladengläsern, Streichholzschachteln oder Buchumschlägen. Die Namen der Schöpfer aber kennt man kaum oder gar nicht. Beim Gebrauchsgrafiker Werner Klemke war das eben anders. Auch dank des Magazins mit dem Kater. Der wurde zum Klemke-Kater.
Unser Vater beschrieb so ein Titelbild wie ein Plakat – im Kleinformat. Es sollte Aufmerksamkeit erregen in der Masse von Zeitungen am Kiosk. Wer konnte denn ahnen, dass Das Magazin gar nicht mehr am Kiosk ausgehängt, dass es zur DDR-Bückware wurde? Trotz der mehr als eine halbe Million Exemplare jeden Monat.
Anfänglich war es nur die eine Titelseite, in den 70er Jahren verlangte die Redaktion dann eine Doppelseite. Das machte nun noch mehr Arbeit. Unter den letzten Magazinausgaben sind Titelbilder, die er in der Charité, im Krankenbett sitzend zeichnete. Unsere Schwester Christine, selbst Grafikerin, half ihm. Sie lernte dafür extra die Klemke-Art zu zeichnen. Diese letzten Titel noch fertigzustellen war zum einen preußische Pflichterfüllung, aber vor allem seine Wertschätzung fürs Publikum. Anfang 1990, die Krankheit hatte ihn schon fest im Griff, sagte er: „bevor mich mein Publikum ablehnt, höre ich besser selbst auf.“ Und im Februar 1990 erschien dann der letzte Titel von Klemke im Magazin. Es war seine Entscheidung.